Ughelli, Ferdinando

Ferdinando Ughelli

Ferdinando Ughelli

Zisterzienserabt, Generalprokurator, Historiker

* 19. März 1596[1] Florenz
† 19. Mai 1670 Rom

Ughellis Familie war offenbar wohlhabend („honestiori genere ortus“, so J. Lucenti), bisweilen nennt man sie auch „adelig“; jedenfalls konnte der junge Ughelli nach seinem Eintritt in den Zisterzienserorden (1610, offenbar in Florenz, Cistello) mit eigenen Mitteln die Bibliothek seiner Abtei ausstatten. Er studierte an verschiedenen Benediktinerabteien, zuletzt (bis 1623) in Rom bei den Jesuiten am Collegio Romano u.a. bei Francesco Piccolomini SJ, dem späteren Ordensgeneral, und bei dem berühmten Theologen und späteren Kardinal Juan de Lugo SJ.

Zunächst hatte U. eine leitende Funktion („Rektor“) in der Florentinischen Abtei Cistello (1624–1627), er wurde dann Abt von Galgano bei Siena (1628–1631), von Nonantola (1632–1635) und von S. Salvatore in Settimo (1635–1637). Gleichzeitig bekleidete er einige Ämter in der Leitung seiner Ordensprovinz (Toscana), u.a. als Definitor. Das Amt des General-Präses der italienischen Kongregation seines Ordens lehnte er ab und wurde stattdessen Generalprokurator des Ordens bei der römischen Kurie (1637), weil er die dortigen Bibliotheken nutzen wollte. Bei seiner Ankunft in Rom (1637) wurde er sogleich zum Abt der Abtei Tre Fontane bei Rom ernannt (SS. Vincenzo e Anastasia ad Aquas Salvias). Diese päpstliche Ernennung geht auf die Hochschätzung Ughellis durch die Barberini zurück, also durch Papst Urban VIII. und Kardinal Francesco Barberini, Kommendatarabt von Tre Fontane und mächtiger Mäzen Ughellis.

In Rom war Ughelli auch Theologe (Berater) des Kardinals Francesco de’Medici und wurde zu einem nicht bekannten Zeitpunkt zum Konsultor der Indexkongregation ernannt. Die letztere Ernennung erfolgte laut J. Lucenti auf Anregung des Kardinals Orazio Giustiniani († 1649), der Bibliothekar war und zur Klientel der Barberini gehörte. Spätere Darstellungen datieren diese Ernennung in die Zeit des Papstes Alexander VII., also ab 1655, und Moroni erklärt im 19. Jahrhundert, diese Ernennung sei als Ehrung und Belohnung zu verstehen (per incorraggirlo e compensarlo), nicht also zwecks aktiver Mitarbeit und Zensurtätigkeit in der Indexkongregation.

Kardinal Francesco Barberini übertrug Ughelli die Revision und Neuausgabe der Vitae Summorum Pontificum von Ciacconius/Chacón (erschienen dann 1650). Kardinal Barberini, dem Ughelli später seinen schriftlichen Nachlass vermachte (seit 1902 als Codices Barberini in der Vatikanbibliothek), förderte vor allem die Fertigstellung des epochemachenden und bis heute berühmten Werkes Ughellis, der „Italia sacra“, zuerst erschienen in Rom 1644–1662 in 9 Bänden. Die heute maßgebliche zweite Auflage (Venedig 1717–1722 in 10 Bänden), herausgegeben und ergänzt von Nicola Coleti, enthält auch die erste Biographie Ughellis, geschrieben unmittelbar nach dessen Tod 1670 von Abt Julius Lucenti. Mindestens seit 1625 arbeitete Ughelli an diesem monumentalen Werk.

Zunächst suchte er in den Bibliotheken der von ihm bereisten Abteien Material über Zisterzienser, die zu Bischöfen ernannt wurden. Danach interessierte er sich für die italienischen Bischöfe aller Zeiten und stellte für jede der 20 Kirchenprovinzen der Halbinsel (Rom an der Spitze, ohne die Inseln Sizilien u. Sardinien und das zum Reich gehörende Fürstbistum Trient) in alphabetischer Reihenfolge zunächst die Nachrichten und Dokumente zum Metropolitansprengel (Kirchenprovinz) um den jeweiligen Erzbischof zusammen. Dann folgten die Bischofslisten und Urkunden für jeden Bischofssitz, mit ausführlichen Nachrichten über Stiftungen, wirtschaftliche und herrschaftliche Verhältnisse sowie biographischen Angaben. Seine Daten stützte Ughelli auf eigene Recherchen, auf Bischofslisten („fasti“) und Chronologien sowie auf eine immense Korrespondenz mit einzelnen Bekannten und Bischöfen, die Abschriften oder Exzerpte aus lokalen Archiven zur Verfügung stellten.

Man hat Ughelli besonders um die letzte Jahrhundertwende vorgeworfen, er habe Legenden und Manipulationen (Märtyrergeschichten, Stiftungsfälschungen und nachträgliche Siegergeschichtsschreibung) unkritisch übernommen und weitergegeben. In neuerer Zeit legt man auch den Finger auf das Thema „Plagiat“, weil er Vorarbeiten und ihm zuarbeitende Helfer nicht als solche benannte und würdigte. Solche für die zeitgenössischen Verhältnisse nicht ungewöhnlichen Methoden, sollten sie denn zutreffen, schmälern nicht die Verdienste Ughellis für die erste dokumentierte Geschichtsschreibung über die Diözesen Italiens (Pio Paschini), die einen qualitativen Fortschritt gegenüber der veralteten „Annalistik“ etwa des Kardinals Baronius darstellte. Ughelli setzte mit seiner Methode neben die Zeitfolge der klassischen „Annalen“ ein raum-zeitliches, also neben die Chronologie eine geographisch orientierte Dokumentation und Beschreibung.

Das Konzept Ughellis und sein Ergebnis, eine „Italia“ wenigstens in Buchform geschaffen zu haben angesichts der politischen Uneinigkeit, entsprach dem politischen Interesse Urbans VIII. Dieser versuchte aus dem politisch inexistenten Italien einen Machtfaktor zu machen, dessen Wort im europäischen Konzert Geltung hätte. Hierfür musste er das Haus Habsburg, also Spanien und das Reich, von der Halbinsel verdrängen, weil diese Italien als ihren Vorhof betrachteten. Die Italia, nicht mehr nur als geographischer Begriff (ab dem 19. Jahrhundert), entstand historiographisch als Italia sacra aus der Feder Ughellis im 17. Jahrhundert. Sie entsprach dem Traum der Barberini, besonders ihres Papstes Urban VIII., dass unter einem dominierenden Papsttum Italien nicht mehr von auswärts (Madrid, Wien), sondern von Rom aus geführt werde. Durch seine Italia sacra gehörte Ughelli zu den größten, auch heute noch zitierten (darum jüngere Nachdrucke) Historikern Italiens der frühen Neuzeit.

Herman H. Schwedt

  1. Das Geburtsdatum differiert in allen bisherigen Biographien Ughellis, (meist 21. März 1594 oder 1595) und wurde erst 1990 von G. Morelli ermittelt.

Werke:

Elogia Pontificum et Cardinalium Ordinis Cisterciensis. Florentiae 1624 · Italia sacra, sive De episcopis Italiae, et insularum adiacentium. 9 vol. Romae 1644–1662 · Italia sacra […] studio Nicolao Coleti. 10 vol. Venetus² 1717–1722 (Anastat. Neudrucke: Nendeln/Liechtenstein 1970; Sala Bolognese 1972–1974) · Italia sacra […] restricta […] studio Julii Ambrosii Lucentii. 3 vol. Romae 1704 · Columnensis familiae nobilissimae S.R.E. Cardinalium […] imagines. Romae 1650 · Genealogia nobilium Romanorum de Capisucchis. Romae 1653 · Albero et istoria della famiglia de’ conti di Marsciano. Roma 1667 · Auszüge aus »Italia sacra« und Fortsetzung für einzelne Bischofssitze: Series episcoporum pistoriensium […] a Nicolao Coletio aucta [neu hrsg. v.] Franciscus Antonius Zacharia SJ. Augustae Taurinorum 1755 · Cremensium episcoporum series [hrsg. v.] Nic. Coleti. Mediolani 1749; [neu hrsg. v.] F. A. Zacharia SJ. Brixia 1763 ebd. 1783 · Laudensium episcoporum series [hrsg. v.] N.Coleti [u.] F. A. Zacharia. Mediolani 1763 · Series episcoporum Caesenatium [hrsg. v.] N. Coleti [u.] F.A. Zacharia. Caesenae 1779; Vico equensium episcoporum series [hrsg. v.] N. Coleti. Romae ²1778 · Faustus Antonius Maroni, Commentarius de Ecclesiis et Episcopis Ostiensibus et Veliternis, in quo Ughelliana series emendatur, continuatur et illustratur. Romae 1766 · Herausgeber von: Alfonso Chacón/Ciacconius, Vitae et res gestae pontificum romanorum et S.R.E. cardinalium […] usque ad Urbanum VIII […] · Alia plura Victorellus, et Ferdinandus Ughellus […] addiderunt. 2 vol. Romae 1650 · Memorie istoriche intorno la serie de' vescovi ed arcivescovi teatini. Napoli 1830; Series episcoporum forocorneliensium. Forocornelii 1820, Bd. 1–2.

Literatur:

Oronzo Parlangeli: La `carta rossanese' dell’Ughelli: Atti del Sodalizio glottologico milanese 1962, 3–7 · Alessandro Pratesi: Per un nuovo esame della ’Carta di Rossano’: Studi Medievali. Serie Terza (Spoleto) 9, 1970, 209–235 · Denis Day: The Church in Italy in the Fifteenth Century. The Birkbeck Lectures 1971. Cambridge 1977 · Ders.: Muratori and British Historians: L. A. Muratori storiografo. Atti del Convegno Internazionale di Studi Muratoriani, Modena 1972. Firenze 1975, 323–339 · Ders.: Annalists and Historians. Western Historiography from the Eights to the Eighteenth Centuries. London 1977 (ital.: Storici e Cronisti dal Medioevo al XVIII secolo. Bari 1981, 172–175 und 182) · Ders.: Scholars and ecclesiastical History in the Early Modern Period: the Influence of Ferdinando Ughelli. In: Politics and Culture in Early Modern Europe. Essays in Honor of H. G. Koenigsberger. Ed. by Phyllis Mack and Margaret C. Jacob. Cambridge 1987, 215–229 · Giorgio Morelli: L’Abate Ferdinando Ughelli nel terzo centenario della morte (1670–1970): Strenna dei Romanisti 32 (1972) 246–250 · Ders.: Lettere inedite di storici abruzzesi a Ferdinando Ughelli: Abruzzo. Rivista dell'Istituto Studi Abruzzesi 12 (1974) 83–99 · Ders.: Monumenta Ferdinandi Ughelli Barb. Lat. 3204–3249: Miscellanea Bibliothecae Apostolicae Vaticanae IV. Città del Vaticano 1990 (Studi e Testi, 338), 243–280 · Serafino Prete: Alcune lettere inedite dirette a Ferdinando Ughelli autore di ’Italia sacra’ da vescovi delle diocesi marchigiane (sec. XVII). In: Studia Picena 54 (1989) 59–73 · Christine M. Grafinger: Die Ausleihe vatikanischer Handschriften und Druckwerke (1563–1700). Città del Vaticano 1993 (Studi e Testi, 360) · Moroni 83 (1857) 8–12 · Michaud 42, 337 · Hoefer 45 (1866) 772 · Wetzer Welte Kirchenlexikon XII² (1901) 183f · Enciclopedia Italiana 34 (1937) 612f. · Enciclopedia Cattolica XII (1954) 704 · Lexikon für Theologie und Kirche X (1938) 361; X² (1965) 447f · New Catholic Encyclopedia XIV (1967) 368 · Dictionnaire des auteurs cisterciens. Dir. Emile Brouquette u.a. (Rochefort 1977) 11, 701–703 · BBKL Band XII (1997), Sp. 812–816 (Autor: Herman H. Schwedt).

Kategorie:Personen Kategorie:Tre Fontane Kategorie:17. Jahrhundert


Zitierempfehlung: Ughelli, Ferdinando, in: Biographia Cisterciensis (Cistercian Biography), Version vom 12.04.2020, URL: http://www.zisterzienserlexikon.de/wiki/Ughelli,_Ferdinando

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