Isaak von Stella
frz.: Isaac de l'Etoile
Abt von Stella (frz. Étoile), „Gründerabt“ von Les Châteliers auf der Île de Ré bei La Rochelle, spiritueller und spekulativer Autor und Theologe
* um 1110 England
† nach 1174 Les Châteliers, Île de Ré
Wiewohl Isaak von Stella von Louis Bouyer als das „große Mysterium von Cîteaux“ bezeichnet worden ist,[1] konnten durch die Forschungsarbeit der letzten hundert Jahre seit Franz Bliemetzrieder (1904)[2] zahlreiche Hinweise auf die historische Existenz dieses englischen Zisterzienservaters aufgefunden werden, die eine annähernde Rekonstruktion seiner Biografie ermöglichen.
Isaak von Stella wird zu den bedeutendsten Zisterzienservätern der zweiten Generation von Cîteaux gezählt. Wie viele junge Engländer, die an einer theologischen Ausbildung interessiert waren, kam Isaak nach Frankreich zum Studium, wo Abælard und die Viktoriner in Paris und die junge Philosophengeneration in Chartres einen herausragenden Ruf genossen. Nach dem Zeugnis eines Briefes gehörten die Engländer Jean de Belle-Mains, Thomas Becket und Johannes von Salisbury wahrscheinlich zu seinen Freunden und Studienkollegen.[3] Möglicherweise in Folge der Predigt Bernhards von Clairvaux in Paris (1139/1140) trat Isaak in Pontigny in den Zisterzienserorden ein.
Bereits 1147 Abt der Tochterabtei Stella/Étoile, scheint Isaak 1164 eine Rolle bei der Aufnahme des Erzbischofs Thomas Becket von Canterbury in der Zisterzienserabtei Pontigny gespielt zu haben – wegen des latenten Konflikts Beckets mit dem englischen König Heinrich II. Plantagenet eine umstrittene Entscheidung. Aus nicht ganz geklärten Gründen zog sich Isaak um 1167, nachdem der Orden im September 1166 von seiner Unterstützung des unter politischem Druck stehenden Erzbischofs von Canterbury Abstand genommen hatte, auf die Île de Ré zurück, die etwa fünf Kilometer vor dem Hafen von La Rochelle gelegen ist. Zuvor war seine Abtei Stella/Étoile während eines Aufstands der Aquitanier gegen die Engländer geplündert worden. Diese unglückliche Situation des Interessenkonflikts zwischen den englischen Besatzern und den um die Unabhängigkeit kämpfenden aufständischen Baronen wiederholte sich noch einmal in den Jahren 1173/1174, als Isaak vermutlich als Geisel gefangen genommen und verschleppt wurde. Ein Fragment eines Sermos schildert die Rückkehr des gezeichneten Isaak in seine Abtei, wo er offenbar bald nach seiner Befreiung verstorben ist.[4]
Isaak von Stella konnte aufgrund der tragischen politischen Umstände des Aufstands von 1173/1174 sein Hauptwerk, einen monumentalen Lesepredigtzyklus zum Kirchenjahr, nicht mehr vollenden. Unter diesen Predigten ragt insbesondere die spekulative Reihe zur Sexagesima hervor, die eine theologisch-philosophische Suche nach der Endursache der Welt sein will. Zuvor, in den 1160er-Jahren, hatte Isaak zwei Brieftraktate auf Bitten zweier Freunde verfasst: De anima (Über die Seele) behandelt eine Anthropologie des Menschen aus mystisch-erkenntnistheoretischer Sicht, De officio missae ist eine allegorische Messerklärung, die helfen soll, das Mysterium der Vergegenwärtigung des Opfers von Golgatha zum Gegenstand der Betrachtung zu machen. Dieser auf Bitten des Diözesanbischofs Isaaks geschriebene Brieftraktat spiegelt die Anliegen der Kirchenreform wider und war deshalb wohl auch die erfolgreichste Schrift Isaaks. Eine nähere Bestimmung und Abklärung scheint schließlich noch hinsichtlich des pseudo-augustinischen Traktates De spiritu et anima notwendig, der ursprünglich De spiritu et anima secundum Augustinum betitelt gewesen sein könnte, und das von einem führenden Autor der Scholastik, Philipp Cancellarius, um das Jahr 1230 Isaak von Stella zugeschrieben wurde.[5]
Isaaks monastische Theologie zeigt ein deutliches Interesse an spekulativen Fragen, die durch den Aufbruch der platonisch geprägten Schulen des 12. Jahrhunderts angestoßen worden waren. Die Radikalität seines Denkens verleiht ihm als Autor monastischer Spiritualität große Authentizität, die auch vor Zeitfragen wie der Führung der Kreuzzüge nicht zurückweicht. Hierbei vertritt Isaak den Standpunkt, dass das Evangelium – auch bei der Reconquista in Spanien – nur mit friedlichen Mitteln verbreitet werden soll, alle Gewaltandrohung liefere nur den Gegnern einen Vorwand zu neuen Gewaltexzessen.[6]
Bei seiner Gotteslehre sticht insbesondere seine Adaption der negativen und symbolischen Theologie hervor, die ihn als einen der ersten Rezipienten der Gotteslehre des Dionysius Areopagita im 12. Jahrhundert ausweist. Hintergrund dürfte hier vermutlich eine Bekanntschaft mit dem Übersetzer des Dionysius, Johannes Sarracenus, sein, der einige Zeit an der Schule von Poitiers wirkte, die nur 20 Kilometer von Stella/Étoile entfernt war. Durch die Aufnahme verschiedener Elemente aus der platonischen Schule des Aristoteles, Boethius und des Dionysius Areopagita erhält seine Darstellung der Schöpfungslehre metaphysische Weite und Tiefe. Bemüht, die Gegensätze zwischen den Schulen zu überbrücken, findet Isaak zu einer Exegese, die die Ansätze Bernhards von Clairvaux mit denen seines Kontrahenten Abælard vereinen kann.
Frömmigkeitsgeschichtlich bedeutend ist auch sein Beitrag zur Mariologie: Sein symbolisches Denken führt Isaak zur Erkenntnis, dass es eine mystische Identität zwischen der Jungfrau Maria und der Jungfrau Kirche geben muss. Diese Lehre wurde im Rahmen des II. Vatikanums in das Schema über die Kirche aufgenommen, als die Konzilsväter die Verehrung Marias als Mutter der Kirche in den Gesamtkontext der Ekklesiologie aufnehmen wollten. Isaak von Stella wird daher dort ausdrücklich als Väterreferenz angeführt und zitiert.[7]
Für eine Verehrung Isaaks von Stella spricht, dass ihm bereits in einer Urkunde von 1188 ein „seliges Angedenken“ bescheinigt wurde.[8] Eine offizielle Seligsprechung ist allerdings nicht nachweisbar.
Wolfgang Buchmüller, Dez. 2013
- ↑ S. L. Bouyer, La spiritualité de Cîteaux. Paris 1955, 195: „Isaac de l´Étoile est le grand mystère de Cîteaux.“
- ↑ Vgl. F. P. Bliemetzrieder, Isaak von Stella. Beiträge zur Lebensbeschreibung, in: JphST 18 (1904) 1–34.
- ↑ Siehe den auf den 22. Juni 1164 datierten Brief von Jean de Belle-Mains, dem Bischof von Poitiers, an Thomas Becket; s. J. C. Robertson u. J. B. Sheppard (Hg.), Materials for the History of Archbishop Thomas Becket. London 1881, Bd. 5, 114: „… quamvis tam ego quam communis amicus noster abbas vindelicet de Stella, Ysaac, ut continuam vestri habet sanctissimus ille conventus Pontiniacensis, in orationibus suis, memoriam, recte procuravimus …“
- ↑ Vgl. Isaak von Stella, Fragment 2,1 (FC 52,3,880): „Dominus solvit compeditos. Novi quidem, fratres, novi nec dubito nostrum non minus graviter exsilium vestram tulisse caritatem quam gratanter suscepisse reditum; quos nimirum eisdem quibus et ego didici iaculis vulneratos, eisdem quibus <et> ego compedibus vinctos. Evidens enim habeo vestrae dilectionis argumentum fuisse vos nostra perturbatos absentia, quos tanto opere nunc laetificat praesentia ...“
- ↑ Vgl. Ph. Cancellarius, Summa de bono, hg. von N. Wicki (Corpus philosophorum medii aevi, opera philosophica mediae aetatis selecta 2), 2 Bde., Bern 1985, C. De quatuor cardinalibus virtutibus Q. 1 2,748f.: „ Item. Isaac in libro de anima et spiritu secundum Augustinum.
- ↑ Vgl. Isaak von Stella, Sermo 48,8 (FC 52,3,772): „Huic simile et eadem ferme tempestate, cuiusdam novae militiae obortum est monstrum novum – cuius, ut lepide ait quidam, ordo de quinto evangelio est –, ut lanceis et fustibus incredulos cogat ad fidem, et eos qui Christi nomen non habent, licenter exspoliet et religiose trucidet; si qui autem de eo in depopulatione talium ceciderint, Christi martyres nuncupent. Nonne et isti futuro illi perditionis filio contra christianos crudelitatis suae auctoritatem nutriunt? Quomodo ei obicietur Christi mansuetudo et patientia et forma praedicandi? Quare non faciet libenter quod factum reperiet licenter? Quomodo non dicet: Qualia fecit Ecclesia, talia facite illi?“
- ↑ Vgl. Isaak von Stella, Sermo 51,7f. (FC 52,3,806): „Unde et in Scripturis divinitus inspiratis, quod de virgine matre Ecclesia universaliter, hoc de virgine <matre> Maria singulariter, et quod de virgine matre Maria specialiter, id de virgine matre Ecclesia generaliter iure intellegitur.“; s. auch Lumen gentium 64 (Rahner/Vorgrimler 194, Anm. 191).
- ↑ Vgl. C. Garda, De nouveau sur Isaac de l´Étoile, 18-22, mit Bezug auf eine im Cahier des titres im Archiv von Gers vermerkte Urkunde aus dem Jahre 1188, in der der bereits genannte Isembert Sennebaud ausdrücklich auf seine Verehrung der Person Isaaks Bezug nimmt.
Historische Ausgaben:
Tissier, B.: Bibliotheca Patrum Cisterciensium 6, sive operum abbatum et monachorum cisterciensi ordinis, qui saeculo S. Bernardi, aut paulo post eius obitum floruerunt (Bonnevaux 1662) 1–77. · Sermones, in: Migne, J.-P., PL 194 (Paris 1855, 1689–1875). · De anima, in: Migne, J.-P., PL 194 (Paris 1855, 1875–1889). · Epistola ad Joannem Episcopum Pictaviensem de officio missae, in: Migne, J.-P., PL 194, (Paris 1855, 1889–1896).Kritische Ausgaben:
Hoste, A. u. Raciti, G. (Hg.): Sermons, lat.-frz., 3 Bde. (Sources Chrétiennes 130; 207; 339; Paris 1967–1987). · Tarlazzi, C. (Hg.): L´epistola de anima di Isaaco di Stella, in: Medioevo. Rivista di Storia della Filosofia Medievale 36 (Padua 2011), 167–278.Neusprachliche Ausgaben:
McCaffery, H. (Hg.): Isaac of Stella. Sermons on the Christian Year 1 (Cistercian Father Series 11). Kalamazoo 1979. · Deme, D. (Hg.): The Selected Works of Isaac of Stella. A Cistercian Voice from the Twelfth Century. Hants 2007. · Pezzini, D.: Isaaco della Stella, I Sermoni, 2 Bde. (Letture Christiane del secondo millennio 40, Mailand 2007). · Buchmüller, W. u. Kohout-Berghammer, B. (Hg.): Sermones – Predigten, lat.-dt. (Fontes Christiani 52/1-3, Freiburg 2012–2013); im Anhang: De anima – Über die Seele, De officio missae – Über die Messe.Literatur:
siehe BibliographieVorlage:Page.name: ISAAK von Stella (c1100–n1174) – Biographia Cisterciensis