Boucherat, Nicolas I

Remonstrance faite au roy le 18 de iuin 1578 von Nicolas Boucherat, Titelblatt

Nicolas I. Boucherat

Generalprokurator, Abt von Cîteaux 1571–1583/84

* 1515 Pont-sur-Seine (Aube)
† 12. März 1586

Nicolas I. Boucherat, geboren 1515 in dem kleinen Ort Pont-sur-Seine im heutigen Département Aube (bis zur Französischen Revolution Pont-le-Roi genannt), stammte aus einer bedeutenden Familie der Champagne, die schon mehrere hohe Militärs, Beamte und Geistliche hervorgebracht hatte. Der Großvater, Edmond (I.) Le Boucherat, wurde 1493 der erste Bürgermeister der Stadt Troyes, ein Onkel, Nicolas Boucherat, war Doktor der Theologie und Abt des Zisterzienserklosters Notre-Dame de Reclus in der Diözese Troyes; ein Bruder, Edmond (III., † 25. Jan. 1564), wurde 1557 Generaladvokat beim Parlement von Paris. Nicolas' Vater war Edmond Boucherat (II.), seigneur de La Forge–Valcon, verheiratet mit Marguerite Favier (Dictionnaire de la noblesse S. 666; Histoire généalogique S. 584).

Nicolas Boucherat trat in die Abtei seines Onkels (Le Reclus) ein und wurde 1534 in Paris zum Doktor der Theologie promoviert (Dict. des Auteurs Cist.). In Reclus wurde er Prior und zu einem ungeklärten Zeitpunkt[1] Generalprokurator (Promotor) des Ordens bei der römischen Kurie. In dieser Funktion nahm er auf Anordnung des Generalkapitels von 1562 an der dritten und vierten Sitzungsperiode des Konzils von Trient (1562–1563) teil (Zakar S. 50). An dessen Schlusstag (4. Dezember 1563), an dem Boucherat gemeinsam mit Abt Louis de Baissey von Cîteaux und Abt Jérôme Souchier von Clairvaux anwesend war, wurde u.a. das Reformdekret für die Regularen und Monialen (Decretum de Regularibus et Monialibus) feierlich verkündet, das eine neue kirchenrechtliche Basis für die Reform des monastischen Lebens schuf. Wie seine beiden Vorgänger war Boucherat damit in die aktuellen kirchlichen Entwicklungen seiner Zeit eingebunden (Eberl S. 393).

Beratungen über die Anwendung des Konzilsdekrets im Zisterzienserorden fanden am 21. Mai 1565 auf dem Generalkapitel in Cîteaux statt. Es wurde beschlossen, eingehende Visitationen der Männer- und Frauenklöster durchzuführen, unter besonderer Beachtung der Klausurvorschriften, der Abschaffung des Privateigentums, der ausreichenden Versorgung der Konvente und Instandsetzung schadhafter Klostergebäude, aber auch der Beseitigung häretischer Einflüsse. Zur Durchführung der Reformdekrete setzte das Generalkapitel Visitatoren ein. Für die Klöster in den drei geistlichen Kurfürstentümern und im Herzogtum Kleve und Geldern wurden die Äbte von Himmerod (Johann von Briedel) und Altenberg (Winand Dutzmann) bestellt (Postina S. 225; Schneider S. 41), die ihre Aufgabe auch erfüllten, wovon sich Boucherat in den Jahren 1572, 1573 und 1574 bei seinen eigenen Visitationsreisen durch die niederdeutsche und die oberdeutsche Provinz überzeugen konnte.

Im Frühjahr 1561 oder 1569[2] visitierte Boucherat gemeinsam mit dem Vikar der lombardo-toskanischen Kongregation Dionysius de Laceronis und mit Unterstützung des Kardinalprotektors der Zisterzienser, Giovanni Morone, die Zisterzienserabteien im Kirchenstaat und den Königreichen Neapel und Sizilien. Diese von ihren Kommendataräbten vernachlässigten Klöster befanden sich in keinem guten Zustand, sofern sie überhaupt mit Zisterziensermönchen besetzt waren. Die Erfahrungen dieser Mission legten die beiden Visitatoren in einem Bericht nieder, der wahrscheinlich Kardinal Morone übergeben wurde. (Zakar, Postina S. 196–203 [Abdruck des Visitationsberichts]). Dass Boucherat an den Reformbestrebungen des Generalabtes Baissey beteiligt war, wird aus der Tatsache deutlich, dass er 1563 mit diesem ein Konkordat (dessen Text nicht überliefert ist) mit der lombardo-toskanischen Kongregation abschloss, das vom Generalkapitel 1565 ratifiziert wurde (Zakar S. 59).

Am 12. Dezember 1571, nur einen Monat nach dem Tod seines Vorgängers Souchier († 10. Nov. 1571), wurde Boucherat von den Mönchen zum Abt von Cîteaux gewählt. Er erhielt die Nachricht am 25. Dezember während eines Aufenthalts in der Abtei Casanova in Piemont und nahm die Wahl nach zwei Tagen Bedenkzeit an. Papst Pius V. ernannte ihn am 13. Januar 1572 mit der Bulle solicitae considerationis zum Abt, wobei der Papst der Ansicht war, durch den Tod Souchiers in Rom zur Provision der neuen Äbte von Cîteaux und Clairvaux berechtigt zu sein. Vergeblich bemühten sich die Mönche, die befürchteten, dass König Karl IX. einen Kommendatarabt einsetzen würde, um eine Änderung der Bulle. Zur weiteren Klarstellung schrieb Paul V. am 26. Januar 1572 an Karl IX. und erklärte dem König, dass die Abtstühle von Cîteaux und den vier Primarabteien nicht vom König besetzt werden dürften, sondern Wahlämter seien, und der König daher Nicolas Boucherat in Cîteaux (und Dom Lupin Le Myre in Clairvaux) bestätigen müsse. Hintergrund für dieses Vorgehen war das Gerücht, dass der König die Abtei Clairvaux seinem Botschafter in Rom, Kardinal Rambouillet, als Kommende versprochen hätte. König Karl setzte weder einen Kommendatarabt ein, noch bestätigte er Boucherat, sondern erklärte den Abtstuhl von Cîteaux für vakant und entsandte einen königlichen Prokurator zur Verwaltung der Temporalien. Nachdem ihr Protest gegen den Prokurator beim Parlement in Dijon ohne Ergebnis geblieben war, wandten sich die Mönche direkt an den König. Mit einiger Übertreibung argumentierten sie, dass der Abt von Cîteaux nicht nur Vorsteher seines Klosters, sondern auch Oberer von zweitausend Häusern sei, die bei anhaltender Vakanz ihre Verbindung mit dem Stammkloster lösen könnten. Die Situation könne daher nicht im Sinne der französischen Krone sein. Mit Datum 27. August 1572 rief der König daraufhin seinen Prokurator zurück und bestätigte Nicolas Boucherat in allen seinen Rechten als Abt von Cîteaux. Der Papst bestand weiterhin auf seinem Provisionsrecht. Ob Boucherat jemals eine Ernennungsurkunde aus Rom erhalten hat, ist unbekannt, jedenfalls nahm er die Abtei in Besitz (Lekai S. 66–67).

Bestrebt, die Ordensreform im Geiste des Konzils von Trient und des Generalkapitels von 1565 fortzusetzen, unternahm Boucherat in den Jahren 1572, 1573 und 1574, jeweils in den Monaten Mai bis September, teilweise bis in den November hinein, Visitationsreisen zu den Zisterzienserabteien im deutschsprachigen Raum (Schweiz, Schwaben und angrenzende Gebiete, Franken, Bayern und Böhmen, 1574 dann Niederdeutschland und angrenzende Gebiete), deren Zustand er größtenteils positiv beurteilt[3] Nur bei ganz wenigen ergab sich eine ungünstige Beurteilung (Schneider S. 41). Aus dieser Zeit liegen drei an den Ordensprotektor Kardinal Morone gerichtete Visitationsberichte vor, die sich im Vatikanischen Archiv befinden (Postina S. 226ff. [Abdruck der Berichte]). Diese Berichte zeigen u.a. dass Boucherat bei Misständen (v.a. Eingriffen in Klosterrechte von außen) Unterstützung bei geistlichen und weltlichen Fürsten suchte und erhielt, aber auch, wieviele Klöster den Klostersturm der Reformation überlebt hatten. Der schlechten Lage der italienischen Zisterzienserklöster nahm sich Kardinal Morone persönlich an (Erwirkung eines päpstlichen Schutzbriefs 1578, Veranlassung einer Visitation der lombardisch-toskanischen Kongregation 1579), wofür ihm Abt Boucherat in einem Schreiben vom 10. Februar 1579 aus Cîteaux ausdrücklich dankt. Aus demselben Schreiben geht hervor, dass sich Morone mit Boucherat ernsthaft über die Frage der Wiederbelebung des Ordenslebens in Polen beriet und ihn drängte („vehementer desiderabat“), tüchtige Religiosen dorthin zu senden (Postina S. 195). Boucherat schickte daraufhin seinen Sekretär (und künftigen Nachfolger) Edmond de la Croix als Visitator nach Polen (Zakar S. 67), wo sich 1580 zur Durchführung von Reformen die polnische Kongregation bildete. Weniger erfolgreich verlief Boucherats Versuch, nach altem Ordensbrauch wieder jährliche Generalkapitel in Cîteaux abzuhalten. 1573 erschienen nur 19 Äbte, das nächste Kapitel fand erst nach fünf Jahren statt, mit 25 Äbten, das übernächste 1584 mit 24 Äbten (Zakar S. 52, 67).

Auch auf politischem Parkett war Abt Boucherat aktiv. Er genoss das besondere Vertrauen König Heinrichs III., für den er als Sonderbotschafter in Rom im Vorfeld der Wiedererrichtung des französischen Ordens vom Hl. Geist die Verhandlungen bei Papst Gregor XIII. geführt hatte (Martin S. 123). 1577 nahm er an der Versammlung der Generalstände in Blois teil. Am 11. Januar 1578 erhielt er von König Heinrich III. ein Patent, das dem Abt und allen seinen Nachfolgern, die Stellung als ’geborener’ Doyen („dignitas primi senatoris nati“, Gallia christiana) des Parlements von Burgund zusicherte. Im Juni d.J. führte er eine Delegation der burgundischen Stände an den Hof Heinrichs III. nach Rouen, die u.a. eine Steuersenkung für die durch die Kriegsfolgen ruinierte Provinz („consumé par les gens de guerre“) erwirken sollte. Im Sinne des Konzils von Trient verurteilte er den Missbrauch des Kommendenwesens in Frankreich und forderte (erfolglos) die Besetzung kirchlicher Benefizien mit geeigneten Geistlichen. Die Ansprache, die Boucherat am 18. Juni 1578 vor dem König hielt, erschien, zusammen mit der (missbilligenden) Replik des Königs, noch im selben Jahr im Druck (s.u.). Eine weitere Delegation mit ähnlichem Anliegen folgte am 3. Juli 1579. Gemeinsam mit dem päpstlichen Nuntius (Anselmo Dandino) wollte Boucherat erreichen, dass die Dekrete des Konzils von Trient auch in Frankreich promulgiert und eingeführt würden, blieb aber auch hier ohne Erfolg (Zakar, Martin S. 148).

In Cîteaux ließ Abt Boucherat einen neuen Hochaltar mit großem Retabel und 25 Fuß großen kupfernen Figuren errichten, dazu auf der Evangelienseite der Abteikirche sein eigenes Grabmal mit seiner lebensgroßen Statue, ebenfalls aus Kupfer. Der Annalist Nicolas Cotheret überliefert die Kosten für beide Arbeiten mit 12.300 livres. 1576 musste die Grangie Toutenant, eine der ältesten Grangien Cîteauxs, deren Nutzung schon 1532 unter Boucherats Vorgänger Guillaume Le Fauconnier an die Familie Chabot gekommen war, für 30.000 livres an Léonor Chabot, Gouverneur von Burgund, verkauft werden, um dessen Forderungen gegen Cîteaux in Höhe von 22.175 livres begleichen zu können; dazu kamen im selben Jahr Verkäufe von Liegenschaften in Aubigny und Magny. Alle diese Verkäufe waren, wie Cotheret bemerkt, nicht Boucherat alleine anzulasten, sondern Folgen der Misswirtschaft vieler Generationen (Lekai S. 68). Der drohenden Zerstörung der Abtei Cîteaux und ihrer Besitzungen Gilly und Vougeot durch die Truppen des in Burgund eingefallenen Pfalzgrafen Johann Kasimir entging die Abtei im Januar 1576 durch Zahlung einer Kontribution von 3.000 écus. Die Soldaten besetzten zwar das Kloster und raubten alle Vorräte, ließen aber die Gebäude intakt.

Im Dezember 1583 legte Boucherat sein Amt nieder (königliche Bestätigung 2. Januar 1584), nachdem er sich eine jährliche Pension von 1200 livres gesichert hatte. Außerdem kaufte er 1584 eine Mühle in Gilly, deren Erträge in alle Ewigkeit zur Feier von Messen für sein Seelenheil verwendet werden sollten. Diese Regelung war zwar ungewöhnlich für einen dem Armutsgelübde verpflichteten Zisterzienser, wurde aber noch im selben Jahr vom Generalkapitel bestätigt (Lekai S. 69). Nicolas Boucherat genoss seine Pension nicht lange, er starb am 12. März 1586 und wurde in der Abteikirche in der Nähe des Hochaltars („prope majus altare“) beigesetzt. Sein Grabmal wurde, wie auch die kupfernen Altarstatuen, 1589 von den Hugenotten zerstört und eingeschmolzen, 1601 aber durch eine Nachbildung ersetzt (Gallia christiana, Eberl S. 394).

gge, März 2014

  1. Socard gibt 1543 an, Zakar „um 1560“, beide ohne Angabe einer Quelle.
  2. Zakar (S. 65) gibt die Jahreszahl 1569 an. Dagegen bemerkt Postina (S. 196, FN 1): „Auf der Außenseite des ersten unbeschriebenen Blattes ist die Inhaltsangabe von einer andern Hand mit der Jahreszahl 1569 vermerkt. Dieses Datum ist falsch, es muss 1561 lauten, da der in Nr. 25 erwähnte Cardinal Thaddäus Gaddi 1561 starb, und der Bischof von Constanz Marcus Sitticus, der in Nr. 26 angeführt wird, erst 1561 Cardinal wurde.“ Zakar hält dagegen, dass das Breve, mit dem der Papst die Visiation autorisierte, vom 28. Januar 1569 stammt.
  3. Zur Visitation der Abtei Marienstatt im Westerwald vgl. Wellstein, Gilbert: Der Visitationsabschied des Abtes Nikolaus Boucherat von Cîteaux für die Abtei Marienstatt vom Jahre 1574. CistC 29 (1917), S. 97–100. Himmerod besuchte er im Mai 1574, attestierte der Abtei „bene reformatum“ zu sein und lobte den Abt Gregor Simonis (reg. 1571–1581) als fähigen Mann („bonus vir“, Postina S. 257).

Daten:

Abbas: el. 12. Dez. 1571; res. 2. Jan. 1584.

Werke:

Remonstrance faite au roy le 18 de iuin 1578 en la ville de Rouen par Frère Nicolas Boucherat, abbé de Cisteaux : pour & au nom des estats de Bourgogne : ensemble la responce de Sa Maiesté, [S.l. : s.n.], 1578 und Dijon, J. des Planches, 1579. [Digitalisat]

Literatur:

Dictionnaire des Auteurs Cisterciens, Sous la direction de Émile Brouette, Anselme Dimier (t.1) et Eugène Manning. Rochefort, 1975–1977 (Émile Brouette) · Eberl, Immo: Die Zisterzienser: Geschichte eines europäischen Ordens, Thorbecke, Stuttgart 2002, S. 393–394 · Gallia christiana in provincias ecclesiasticas distributa in qua series et historia archiepiscoporum, episcoporum et abbatum Franciae […] deducitur. Parisiis : ex typographia Regia, 1728, tome 4, Sp. 1011–1012 · Histoire généalogique et chronologique de la Maison Royale de France, et des grands officiers de la Couronne, troisième édition, Tome VI, Paris: Compagnie de libraires associés, 1730, S. 584–586 · La Chesnaye-Desbois, Franc̜ois-Alexandre-Aubert de: Dictionnaire de la noblesse, contenant les généalogies, l'histoire & la chronologie des familles nobles de France, Tome IV, 2nde Edition, Paris: La veuve Duchesne, 1772, S. 666–671 · Lekai, Louis J.: Nicolas Cotheret's Annals of Citeaux. Kalamazoo, Michigan 1982 (Cistercian Studies ; 57), S. 66–69 [frz. in: Analecta Cisterciensia 40–42, 1984–1986] · Martin, Victor: Le Gallicanisme el la Réforme catholique : essai historique sur l'introduction en France des décrets du concile de Trente (1563–1615). Paris: Alphonse Picard, 1919, S. 123–125, 147–148, 156, 158, 171 [Digitalisat] · Postina, Alois: Beiträge zur Geschichte der Cistercienserklöster des 16. Jahrhunderts in Italien, in: Cistercienser Chronik 13, 1901, S. 193–205, 225–237, 257–266 · Schneider, Ambrosius: Die Cistercienserabtei Himmerod von der Renaissance bis zur Auflösung 1511–1802. Köln : Wienand, 1976, S. 41–42 · Socard, Émile: Biographie des personnages de Troyes et du département de l'Aube. Troyes: Lacroix, 1882 · Zakar, Polykarp: Generaläbte der Zisterzienser auf dem Konzil von Trient. Zur Vorgeschichte der Fürstenfelder Äbteversammlung von 1595, in: Analecta Cisterciensia 52, 1996, S. 49–175, hier S. 64–70.

Normdaten:

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Zitierempfehlung: Boucherat, Nicolas I, in: Biographia Cisterciensis (Cistercian Biography), Version vom 2.07.2020, URL: http://www.zisterzienserlexikon.de/wiki/Boucherat,_Nicolas_I

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