Mechthild von Hackeborn
Mystikerin von Helfta
* 1241 bei Halberstadt
† 19. November 1299 Helfta
Leben
Mechthild von Hackeborn oder Hakeborn wurde 1241 als Tochter des wohlhabenden Grafen und der Gräfin von Hackeborn unweit von Halberstadt geboren. Die Hackeborns hatten auch beachtlichen Besitz am süßen See und in Helpede und hier war wohl ihr Lebensmittelpunkt. Mechthilds leibliche Schwester war Gertrud von Hackeborn. Sie wurde mit 19 Jahren zur Äbtissin des Klosters gewählt und leitete es 40 Jahre lang. Dieser Zeitraum wird die „goldenen Jahre“ des Klosters genannt.
Die Eltern besuchten mit Mechthild die ältere Tochter im Kloster, das damals noch in Rodarsdorf/Rossdorf war, und das Kind wollte unbedingt im Kloster bleiben. Die davon nicht begeisterten Eltern gaben dem Drängen der Siebenjährigen nach, denn schließlich sollte sie gut verheiratet werden und benötigte dafür eine entsprechende Bildung.
In der Klosterschule von Helfta erhielt Mechthild sieben Jahre lang eine solide Bildung in weltlichem und theologischem Wissen und erwarb auch alles, was zur höfischen Bildung gehörte. Besonderes Augenmerk wurde auf ihre außergewöhnlichen musikalischen Anlagen gelegt. Während der Ferien weilte sie oft bei den Eltern. Dennoch wollte Mechthild nach der Ausbildung unbedingt Klosterfrau werden, wozu die Eltern schließlich schweren Herzens ihre Zustimmung gaben. Im Kloster wurde sie nach einiger Zeit Leiterin der berühmten Klosterschule. Als „Nachtigal“ von Helfta wurde sie aufgrund ihrer wunderbaren Stimme bekannt, erhielt das Amt der „Cantorin“ und trug im Chor so einfühlsam und berührend Psalmen vor, dass die Zuhörer davon ergriffen wurden. Sie scheint eine hervorragende Pädagogin gewesen zu sein.
Mechthild wurden im Laufe ihres Lebens viele tiefe innere Erfahrungen zuteil. Jedoch erst gegen Ende ihres Lebens, das durch ein acht- bis neunjähriges Siechtum geprägt war, sprach sie mit zwei vertrauten Schwestern darüber, wovon eine ihre Schülerin Gertrud von Helfta war. Heimlich schrieben diese auf Geheiß der Äbtissin Sophie von Querfurt auf, was Mechthild ihnen anvertraute. In einer Vision offenbarte ihr der Herr gleichsam nebenbei das Entstehen des Buches der besonderen Gnade (Liber specialis gratiae). Sie war darüber zunächst untröstlich, ließ sich aber beruhigen und bestätigte die Richtigkeit des Inhaltes, das „Geschenk seiner Gnade“, das viele Menschen ermutigen und aufrichten sollte.
Am 19. November 1299 starb Mechthild und wurde bald als Heilige verehrt. Gegen ihre Verehrung hat der römische Stuhl nie Einspruch erhoben (Festtag 19. November).
Das Buch der besonderen Gnade
Aus Mechthilds mystischen Erfahrungen – über sieben Jahre im Auftrag der Äbtissin Sophie von Querfurt von zwei Mitschwestern heimlich mitgeschrieben, später aber von Mechthild autorisiert – entstand das „Buch der besonderen Gnade“ (Liber specialis gratiae), dessen letzte Redaktion wahrscheinlich Gertrud die Große besorgt hat. Es ist in lateinischer Sprache geschrieben und hat keinen systematischen Aufbau, sondern schildert in lockerer Form Mechthilds geistliche Erfahrungen.
Es besteht aus sieben Einheiten. Das erste Buch enthält Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Kirchenjahr. Das zweite Buch zeichnet vor allem ihren geistlichen Weg nach. Im dritten singt sie besonders den Lobpreis Gottes. Das vierte Buch könnte man als Buch der Fürbitte und der Tröstung bezeichnen. Im fünften Buch beschäftigt sie sich vor allem mit der leidenden Kirche, d.h. mit den Seelen der Verstorbenen in der Läuterung. Der sechste Teil berichtet vom Leben und Sterben der Äbtissin Gertrud (ihrer Schwester) und der siebte und letzte Teil über ihre eigenen letzten Tage.
Quellen von Mechthilds Spiritualität und Mystik
Die Quellen von Mechthilds Spiritualität und Mystik liegen im monastischen Leben des Klosters: es ist einerseits die Heilige Schrift und andererseits die Liturgie sowie die Ordensregel des hl. Benedikt verbunden mit den Bräuchen des jungen Zisterzienserordens und den Schriften der Zisterzienser.
Im Grunde ist das nicht voneinander zu trennen. Die Lectio Divina führt zu einer meditativen, betenden Lektüre der Schrifttexte und hat nichts gemeinsam mit der heutigen kritisch-historischen Methode. Die gesungenen Psalmen nach den einfachen gregorianischen Melodien, die sich im Stundengebet wiederholen sinken tief in das Innere ein und eröffnen neue Räume. Es sind nicht immer neue Formulierungen und Inhalte, die den Geist beschäftigen, sondern mit der Zeit können sie fast auswendig gesungen werden – par cœur wie es im Französischen heißt. Es sind Glaubenserfahrungen, die sich in den biblischen Texten kristallisieren und mehr und mehr das Innere des Menschen durchdringen.
Die regelmäßige Feier der Liturgie und des Stundengebetes hat für die mitfeiernden Nonnen eine prägende Kraft, zumal sie auch bei der schweigenden Tätigkeit weiterwirken können. Aber auch das persönliche Gebet wie auch das Schweigen haben im monastischen Alltag einen festen Platz. Die Wüstenväter sprechen gerne davon, „das Wort kauen“ während des Tages. Das ist weniger ein intellektuelles Behalten des Wortes, sondern dabei öffnet sich mehr und mehr die Kraft des Wortes: „Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben.“ (Joh 6,63b) Die Worte der Schrift haben eine lebenspendende Kraft, vergleichbar mit dem Kauen eines Stückes Roggenbrot.
„Das Buch der besonderen Gnade“ berichtet aus der Fülle von Mechthilds Erfahrungen, die eng mit der Feier der Liturgie und der Heiligen Schrift zusammen hängen. Ein Hochfest beginnt bereits mit der ersten Vesper am Vortag und die Vigilien sowie die übrigen Horen führen das Geheimnis weiter aus. Der Festgedanke prägt den Text der Antiphonen zu den Psalmen, die Schriftlesung, den Hymnus, das Responsorium, Fürbitten und Oration. Das „eine Geheimnis“ wird in vielfältiger Weise betrachtet und durchdringt mit seinen Inhalten alle Gebetszeiten vom Vortag bis zur Vesper am Festtag. Hinzukommen im monastischen Leben die Lectio Divina sowie der Gregorianische Choral in der hl. Messe. Im Grunde wird alles Liturgie. Sie sucht nicht irgendwelche außergewöhnlichen Ausdrucksformen; sie benützt und nutzt vielmehr das, was sie hat, was ihr der klösterliche Alltag, was ihr die Kirche an Gebetsschätzen zur Verfügung stellt.
Viele Experten sehen Mechthild als eine der ersten, die über die „Herz-Jesu-Verehrung“ schreiben. Aber es ist nicht die Sühneherz-Jesu-Frömmigkeit des 19. Jahrhunderts, denn im lateinischen Text steht „Cor Dei“ (Herz Gottes). Es ist nicht sentimentale Frömmigkeit, wenn Mechthild immer wieder vom Herzen spricht, sondern eine Wesensaussage über die Liebe und Freundschaft zwischen Gott und Mensch. Herz Gottes ist Sinnbild von Ursprung und Rettung des Menschen und des ganzen Universums. Die Rettung erscheint so stark, dass sie die Todesstunde in einem Liebesaugenblick sieht.
Um die Wirklichkeit des Herzens Gottes kreisen viele ihrer Bilder im 2. Buch des Liber Specialis Gratiae. Einige seien genannt: ein großes und geräumiges Haus, die Quelle des Lebens, eine belebende Pumpe. Als Antwort auf die unfassbare Liebe und Sehnsucht Gottes nach dem Menschen strömt sie über vom Lobpreis dieses Gottes. – Mechthild hatte einen lebendigen Sinn für ihre Gemeinschaft und darüber hinaus für die vielen Bittsteller, die von außen kamen und mit Mechthild sprechen wollten. Mit Rat, Ermutigung und Trost begegnet sie ihnen und nimmt sie in ihre Gebete auf, wie viele Stellen ihres Werkes es zeigen. Im Grunde hat sich ihr Herz geweitet im „Cor Dei“ und hat die Kirche und Welt umschlossen. Sie, die sich fortwährend als Beschenkte erfährt, kann nicht anders, als weiter zu schenken.
Rezeption
Mechthilds Werk war anfangs sehr bekannt und gefragt. Allein im 16. Jahrhundert erschienen neun Auflagen. Aber dann lief ihr die jüngere Gertrud von Helfta den Rang ab und Mechthilds Werk trat in den Hintergrund. Die Benediktiner von Solesmes gaben im 19. Jahrhundert eine kritische Ausgabe heraus. Eine neue Übersetzung durch Klemens Schmidt erschien 2010 im Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach.
Klara Maria Hellmuth, Mai 2020
Ausgaben:
Der heiligen Mechtildis, Jungfrau aus dem Orden des heiligen Benediktus, Buch besonderer Gnade. Aus dem Lateinischen nach der Ausgabe der Benediktiner von Solesmes von J. Müller. Regensburg: Manz 1880 · Das Buch der besonderen Gnade - Liber Specialis Gratiae. Münsterschwarzach: Vier Tuerme, 2010.Literatur:
Hellmuth, Klara Maria: Die Helftaer Mystikerin Mechthild von Hackeborn: Eine Skizze, in: Cistercienser Chronik 126,2 (2009), S. 218–222 · Dienst, Karl: Mechthild von Hackeborn, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 5, Bautz, Herzberg 1993, ISBN 3-88309-043-3, Sp. 1144–1146 · Schmidt, Margot: Hackeborn, Mechthild v., in: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 7, Duncker & Humblot, Berlin 1966, ISBN 3-428-00188-5, S. 407 · Strauch, Philipp: Hackeborn, Mechthild von, in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 21, Duncker & Humblot, Leipzig 1885, S. 156–158.Vorlage:Page.name: MECHTHILD von Hackeborn OCist (1241–1299) – Biographia Cisterciensis