Rutz, Johanna Baptista

Johanna Baptista Rutz

Johanna Baptista Rutz

letzte Äbtissin der Zisterzienserinnenabtei Tänikon 1827–1848/1854

* 06. April 1777 Mosnang SG
† 14. März 1854 Schlatt TG

Maria Johanna Baptista Rutz wurde 1777 als Tochter des Johann Rudolf Rutz in Mosnang im Kanton St. Gallen geboren. Über ihre Familie ist nicht viel bekannt; Nater bezeichnet sie als bürgerliche Toggenburger Familie.

Sechszehnjährig in die Zisterzienserinnenabtei Tänikon bei Aadorf im Kanton Thurgau eingetreten, legte Johanna dort am 15. Juni 1794 gemeinsam mit der um einige Jahre älteren Augustina Hammer von Solothurn die Profess ab (Professjubiläum 1844). Am 28. Februar 1827, elf Tage nach dem Tod ihrer Vorgängerin Dominika Agatha Seiler, wurde sie in Anwesenheit des Abtes Alberich Denzler von Wettingen zur Äbtissin gewählt und eingesetzt.

Im Oktober desselben Jahres ereignete sich das große Brandunglück in Aadorf, ein Großfeuer zerstörte die Mühle und 14 weitere Häuser längs der Hauptstraße. Etwa zwei Wochen später brannte auch in Tänikon selbst ein First nieder. In den Jahren 1829 bis 1830, unmittelbar vor der Anmaßung der Finanzaufsicht durch den Kanton Thurgau, ließ die Äbtissin mit einem Kostenaufwand von 8000 fl. die Kirche restaurieren und erweitern und 1838 Scheune und Stallungen bauen. Von 1837 bis 1839 wurde die neue Orgel aufgestellt. Während sonst meist gute und mittlere Jahre kamen – 1834 und 1846 sogar mit ausgezeichneten Weinerträgnissen – gab es 1847 eine Hungersnot, während der eine beim Kloster errichtete Suppenanstalt für die Armen und Hungernden eingerichtet wurde.

Johanna Rutz erlebte die schrittweise Auflösung des Klosters mit. Gemäß der Verfassung von 1831 kam das Klostervermögen unter staatliche Aufsicht, 1834 wurde ein Inventar aufgenommen und 1836 ein Verwalter eingesetzt. Bald darauf begannen die großen Klosterganten (1837–1839), d.h. für Tänikon der Verkauf der entfernter liegenden Güter in Aadorf, Buch, Stettfurt, Ettenhausen und Guntershausen. Mit dem 1. Juli 1848 trat das Gesetz über die Aufhebung der thurgauischen Klöster in Kraft, dem auch Tänikon, nach genau 600-jährigem Bestand, zum Opfer fiel. Schon im Herbst (1. Oktober) sollten die Räume geleert sein.

Mit einer jährlichen Pension von 600 fl. ab dem 1. Oktober 1848 wurde die Äbtissin entlassen. Sie blieb zur Miete in Tänikon wohnen, bis sie am 24. August 1853 mit zwei Mitschwestern (Fr. Anna Krapf und eine Laienschwester) in das schon 1836 aufgehobene Klarissenkloster Paradies (Schlatt, Thurgau) umzog. Der übrige Konvent lebte von 1853 bis 1869 unter der Leitung der Priorin Maria Regina Stätzler im ehemaligen Kapuzinerkloster Frauenfeld, bis die verbliebenen Schwestern in das Kloster Mariastern-Gwiggen in Vorarlberg übersiedelten, wo sich die ebenfalls heimatlos gewordenen Schwestern der Klöster Kalchrain und Feldbach zusammengefunden hatten.

Johanna Rutz wurde 1844 Professjubilarin. Bei der Auflösung des Klosters war sie 71, beim Tod fast 77 Jahre alt. Die Zeit ihrer Regierung umfasste 21½ Jahre. Sie starb am 14. März 1854, im 60. Professjahr, in Paradies und wurde auch dort beerdigt.[1]

Verkauf von Glasgemälden

Einen Einblick in die Persönlichkeit der letzten Tänikoner Äbtissin gibt ein eigenhändiges Schreiben vom 1. April 1833 an den Regierungsrat des Kantons Thurgau, in dem sie auf Anfrage der Kantonsregierung den Verkauf wertvoller Glasmalereien aus Klosterbesitz rechtfertigt (Abdruck und Wiedergabe bei Mente).

Zur Finanzierung der genannten Baumaßnahmen an Kirche und Kloster hatte Äbtissin Johanna 1832, als das Kloster bereits unter kantonaler Finanzaufsicht stand, wertvolle Glasgemälde aus der nachreformatorischen Blütezeit (mindestens 44 Scheiben aus dem Kreuzgang und vielleicht noch weitere aus anderen Gebäuden) an den Konstanzer Sammler und Handelsmann Johann Nikolaus Vincent (1785–1765) verkauft (Rahn: verschleudert).

In ihrer Rechtfertigung gegenüber dem Regierungsrat, der erst ein Jahr später vom Verkauf der wertvollen Sammlung erfahren hatte, fallen ein beachtlich eigenständiges Handeln und ein gegenüber den Herren der Regierung selbstbewusstes Argumentieren der damals 55-jährigen Äbtissin auf. Die Renovierung der Kirche, so die Äbtissin, sei „der ganzen Umgegend [wohl einer noch zu konstituierenden Pfarrgemeinde] von gröstem Nuzen“. Der Kanton scheint die Rechtfertigung akzeptiert zu haben, denn der Fall wurde ohne weitere Nachfragen ad acta gelegt.

gge, Dez. 2024

  1. Nachruf M. Johanna Baptista Rutz („Routz“), in: Schweizerische Kirchenzeitung Nr. 12 (1854), S. 92–93.

Daten:

Prof.: 15. Juni 1794; Abbatissa: el. 26. Feb. 1827.

Literatur:

Meyer-Marthaler, Elisabeth: Tänikon, Zisterzienserinnen, in: Helvetia Sacra III/3, Zweiter Teil. Bern: Francke, 1982, S. 917–950 · Rahn, Johann Rudolf; Nater, Johann: Das ehemalige Frauenkloster Tänikon im Thurgau. Buchdruckerei Berichthaus, 1906, S. 233 ff. · Zehnder, Herbert: Tänikon. Gerichtsstätte – Zisterzienser Frauenkloster – Gerichtsherrschaft – Kirchgemeinde – Forschungsanstalt, Tänikon 1992, S. 35 · Mente, Michael: Bares für Rares – Die letzte Äbtissin des Klosters Tänikon und der Verkauf von Glasmalereien 1832, in: Licht- und Farbenzauber. Glasmalerei im Thurgau, Frauenfeld 2022 (= Denkmalpflege im Thurgau, Band 23, hg. Amt für Denkmalpflege des Kantons Thurgau), S. 69–77.

Normdaten:

GND: 1279330171 · Prometheus LMU

Zitierempfehlung: Rutz, Johanna Baptista, in: Biographia Cisterciensis (Cistercian Biography), Version vom 18.12.2024, URL: http://www.zisterzienserlexikon.de/wiki/Rutz,_Johanna_Baptista

Vorlage:Page.name: RUTZ, Johanna Baptista OCist (1777–1854) – Biographia Cisterciensis