Bernhard von Clairvaux
Bernard de Fontaines, Bernardus Claraevallensis
Gründerabt von Clairvaux; berühmtester Heiliger und Ordensvater der Zisterzienser, Kirchenlehrer, geistlicher Schriftsteller und eine der großen Heiligengestalten des Mittelalters; unter seiner Führung erlangte der Zisterzienserorden europäische Bedeutung.
* 1090 (nach manchen 1091) Fontaines-lès-Dijon, Burgund
† 20. Aug. 1153 Clairvaux, Champagne
A. Leben
A.1. Herkunft, Jugend und Klostereintritt
Bernhard war der dritte Sohn des burgundischen Ritters Tescelin le Roux (der Rote) von Fontaines und seiner Gattin Aleth von Montbard. Seine Geschwister hießen Guido, Gerhard, Andreas, Bartholomäus, Nivard und Humbelina. Bernhard wuchs in der elterlichen Burg in Fontaines-lès-Dijon auf und besuchte die Schule der Kanoniker von St-Vorles in Châtillon-sur-Seine. Als er etwa 15 Jahre alt war, verstarb seine tiefreligiöse Mutter. Er dürfte eine Zeit lang in seiner Jugend überlegt haben, eine Karriere im zivilen oder akademischen Bereich anzugehen. Nach einem schlichten Berufungserlebnis beim Gebet in einer Kirche auf dem Weg zwischen Dijon und Grancey begann er, Verwandte und Freunde für ein geistliches Leben in Gemeinschaft zu begeistern. Bernhard versammelte sie für die ersten Monate in einem Haus in Châtillon und trat mit ihnen im Frühjahr 1113 (nach manchen 1112) unter der Amtszeit von Abt Stephan Harding in Cîteaux ein.
A.2. Abt von Clairvaux
Bereits 1115 wurde Bernhard als Abt für die Neugründung Clairvaux in der Diözese Langres bestimmt. Unter den Zisterziensern, die mit ihm Clairvaux besiedelten, waren auch einige seiner Verwandten. Die Priesterweihe empfing Bernhard wohl gemäß den damaligen Vorschriften noch vor seiner Abtbenediktion.
Die ersten Jahre in Clairvaux standen für Bernhard im Zeichen des Aufbaus der Abtei. Wegen seiner harten Askese zog sich Bernhard schon früh schwere Erkrankungen zu. Auf Anraten des Bischofs Wilhelm von Champeaux befahl das Generalkapitel von Cîteaux Abt Bernhard, bis zu seiner Genesung in einem Häuschen außerhalb der Klausur und unter Observanz-Erleichterungen zu wohnen. Etwa von 1122 bis 1124 war der ebenfalls erkrankte Benediktinerabt Wilhelm von Saint-Thierry in Clairvaux zu Gast, mit dem Bernhard viel Zeit bei geistlichen Gesprächen verbrachte.
Bernhard warb leidenschaftlich und redegewandt, vor allem auch bei seinen Reisen, für Bekehrung und Klostereintritt. Schon 1118 gründete Clairvaux die erste Tochterabtei: Trois-Fontaines. Zu Bernhards Lebzeiten sollten noch 67 weitere Klöster direkt von Clairvaux aus besiedelt werden, unter ihnen Rievaulx (1132) in England, Eberbach (1136) in Deutschland, Tre Fontane (1140) in Rom, Alvastra (1143) in Schweden und Alcobaça (1152/53) in Portugal.
Bernhard konnte wegen seiner umfangreichen Reisetätigkeit oft nicht in Clairvaux sein und musste die Leitung seiner Gemeinschaft häufig seinem Prior Gottfried anvertrauen. In seinen Briefen an seine Mitbrüder drückte er immer wieder seine Sehnsucht nach dem Leben in Clairvaux aus (z. B. Epistola 143f).
A.3. Einfluss auf den gesamten Zisterzienserorden
Obwohl Bernhard weder Gründer noch Generalabt des Zisterzienserordens war, übte er durch sein Ansehen, seine Klostergründungen und seine Begabungen einen besonderen Einfluss auf die frühe Entwicklung seines Ordens aus. In seinem Werk „Apologia“ deutete er an, wie radikal er die Zisterzienser dem Armutsideal verpflichtet sah. Er verlangte Schlichtheit in der Ausstattung der Gebäude, bei den liturgischen Gewändern und Geräten, bei der Kleidung, beim Essen und im ganzen Lebensstil. Skulpturen in der Baukunst und kostbare farbige Initialen in der Buchmalerei lehnte er ab. Der Mönch sollte frei sein von prunkvollen Ablenkungen, für die Begegnung mit Gott.
Das Generalkapitel beauftragte Abt Bernhard mit der Leitung einer Reformkommission, die die Liturgie der Zisterzienser reformieren sollte. Die damals üblichen liturgischen Gesänge der Zisterzienser wurden nach den Grundprinzipien der Einheitlichkeit, Beschränkung des Tonumfangs und Eliminierung übermäßiger Verzierungen revidiert. Der heutige Zisterzienserchoral geht auf diese „bernhardinische Gesangsreform“ zurück.
1139 erreichte Bernhard, dass sein Prior Gottfried von Clairvaux der neue Bischof in Langres wurde, also in jener Diözese, in der Clairvaux lag. Auch manch andere Bischofssitze wurden durch den Einfluss Bernhards mit Zisterziensern besetzt. Für sich selbst lehnte er die ihm angetragene Bischofswürde allerdings mehrmals ab: in Châlons-sur-Marne (1130), Genua (1133), Mailand (1135), Langres (1138) und Reims (1138).
A.4. Bernhards Einsatz im kirchlichen Leben, in Diplomatie und Politik
Bald nach der Gründung von Clairvaux begann Abt Bernhard, vor allem mit Briefen, aber auch bei zahlreichen Reisen in kirchlichen und politischen Fragen zu intervenieren. Er beeindruckte viele Menschen mit seinem schlichten und tief gläubigen Auftreten, seinen charismatischen Reden und seinem einfühlsamen Charme. Auch die zahlreichen Wunderberichte über Bernhard trugen zu seiner Popularität bei. Innerhalb von wenigen Jahren galt Bernhard als eine der einflussreichsten Personen Frankreichs. Bei manchen seiner Zeitgenossen rief sein ungestümer Einsatz auch scharfe Kritik und Ablehnung hervor.
Templerorden: Bei der Synode von Troyes (1129) war Bernhard neben anderen Teilnehmern ein wichtiger Fürsprecher für den neu entstandenen Templerorden, für den Bernhard dann – im Auftrag der Synode – die Regel schrieb.
Unterstützung für Papst Innozenz II.: Als es 1130 nach dem Tod Papst Honorius’ II. zum Papstschisma kam, war Bernhard einer von mehreren einflussreichen Persönlichkeiten (wie Petrus Venerabilis von Cluny und Suger von St-Denis), die der Anerkennung Innozenz’ II. als dem rechtmäßigen Papst gegen Anaklet II. in Frankreich zum Durchbruch verhalfen. Bernhard unterstützte Innozenz II. auch bei dessen Begegnung mit dem deutschen König Lothar III. in Lüttich. Abt Bernhard, dessen Kloster Clairvaux Papst Innozenz II. 1131 besuchte, warb 1132 und 1134/35 in Aquitanien für den Papst. Es gelang ihm dabei, den mächtigsten Adeligen Aquitaniens, Graf Wilhelm von Poitou, für Innozenz zu gewinnen.
Italienreisen: Insgesamt unternahm Bernhard auf Wunsch Papst Innozenz’ II. drei Italienreisen. Bei seiner ersten Italienreise 1133 begleitete er den Papst von Pisa nach Rom, um bei der Überwindung von Gegnern zu helfen. Bei seiner zweiten Italienreise (1135) nahm Bernhard am Konzil von Pisa teil. Nach dem Konzil kehrte Bernhard über Mailand heim, das ihm einen enthusiastischen Empfang bereitete.
Von 1136 bis 1138 führte Bernhard seine dritte Italienreise durch, wieder im Gefolge von Papst Innozenz II., dieses Mal in Süditalien und Rom. Kurz nachdem Gegenpapst Anaklet II. gestorben war, wandte sich der neue Gegenpapst, Viktor IV., an Bernhard, der ihm tatsächlich die Aussöhnung mit Papst Innozenz II. vermittelte.
Auseinandersetzung mit Abaelard: In den Jahren 1140/41 trat Bernhard auf Veranlassung seines Freundes Wilhelm von St-Thierry, aber voll eigener Überzeugung, gegen den hochberühmten Pariser Dialektik-Lehrer Abaelard auf. Das rationale Disputieren über Gott als neuartige Methode der frühscholastischen Theologie hielt Bernhard als Experte der monastischen Theologie für eine große Gefahr. Dass Abaelard noch dazu einen moralisch umstrittenen Lebenswandel (Affäre mit Heloisa; zweimaliger Kloster-Austritt) geführt hatte, betrachtete Bernhard als ein Ärgernis. Bei der Synode von Sens am 25. Mai 1141 sollten die beiden Theologen einander öffentlich konfrontiert werden. Weil Bernhard noch am Abend vor der Synode eine inoffizielle Verurteilung von vermeintlichen Lehren Abaelards durch die Synodenteilnehmer erreichte, verzichtete Abaelard bei der Synode selbst auf eine Stellungnahme und appellierte an den Papst. Innozenz II. verbot im Juli 1141 Abaelards Schriften und übereignete Abaelard der Klosterhaft. Abt Petrus von Cluny nahm Abaelard als Gast auf und erreichte eine formelle Aussöhnung zwischen Bernhard und Abaelard noch vor Abaelards Tod (1142).
Missionsreise gegen den Wanderprediger Heinrich und die Katharer: Der französische Wanderprediger Heinrich, der zur Buße aufrief, die Geistlichkeit scharf kritisierte und die Gläubigen von den Sakramenten fernhielt, konnte in der Region von Toulouse viele Anhänger um sich sammeln. Etwa zur selben Zeit begannen sich die Katharer mit ähnlichen, aber noch radikaleren Ansichten dort zu verbreiten. Bernhard führte 1145 in Südfrankreich eine Missionsreise gegen die „neuen Häretiker“ durch. Er äußerte sich gegen sie auch in Predigten (z. B. Super Cantica Canticorum 65). Er setzte sich für eine gewaltfreie Widerlegung der Irrlehrer ein.
Bernhard und Papst Eugen III.: 1145 wurde mit Eugen III. ein Schüler und Mitbruder Bernhards Papst. Bernhard fand in seinen Anliegen oft die Unterstützung von Papst Eugen III., während der Papst immer wieder auf das Ansehen Bernhards für die Durchsetzung päpstlicher Entscheidungen zählen konnte. 1148 verbrachte Papst Eugen III. einige Tage in Clairvaux.
Kreuzzüge: Nach Aufforderung von Papst Eugen III. und König Ludwig VII. von Frankreich übernahm Abt Bernhard das Amt eines Kreuzzugspredigers. Am 31. März 1146 hielt er in Vézelay einen begeisternden Aufruf zum Kreuzzug. Im Weltbild des hochmittelalterlichen Rittertums beheimatet, war für Bernhard der Kreuzzug ein Krieg zur Verteidigung schutzbedürftiger Christen und christlicher Stätten gegen sogenannte „Heiden“. Er pries in Briefen und bei seinen Reisen durch Frankreich, Flandern und Deutschland den Kreuzzug als etwas Gerechtes und sogar Heiliges und munterte mit allen Registern der Rhetorik zur Gewalt gegen die „Heiden“ auf. Zur Weihnachtszeit 1146 konnte Bernhard im Dom von Speyer König Konrad III. und seine Großen mit einer eindrucksvollen Predigt für die Teilnahme am Kreuzzug gewinnen. Bei der Versammlung von Étampes 1147, bei der Details zur Durchführung des Kreuzzugs beschlossen wurden, wählten die Teilnehmer auf Vorschlag Bernhards Abt Suger von St-Denis zu einem der Regenten von Frankreich, der sich in dieser Rolle dann tatsächlich als sehr fähig erwies.
Bernhard nahm auch am Reichstag in Frankfurt 1147 teil. Dort wurde unter dem Beisein König Konrads III. ein Kreuzzug gegen die ungetauften Nordostslawen (sog. „Wendenkreuzzug“) beschlossen, die während der Abwesenheit der deutschen Kreuzritter eine ständige Bedrohung für Deutschland darstellen konnten. In einem emotionalen Rundbrief munterte Bernhard auch zu diesem Kreuzzug gegen die „Heidenvölker“ auf (Epistola 457). Tatsächlich erbrachte dieser Kreuzzug 1147/48 aber keine Absicherung der nördlichen Ostgrenzen Deutschlands, sondern zahlreiche Schein-Taufen unter einer feindlich verbliebenen Bevölkerung. Der 2. Kreuzzug (1147–1149) selbst führte zum Teil schon auf der Hinreise und dann auch in Palästina zu einer militärischen Katastrophe. Dazu kam es aufgrund der Uneinigkeit unter den Kreuzzugsheeren und aufgrund unglücklicher strategischer Entscheidungen. Der Tod vieler Kreuzritter und das misslungene Kreuzzugsunternehmen wurden daraufhin häufig Bernhard von Clairvaux angelastet, der sich selbst jedoch an der organisatorischen Ausführung des 2. Kreuzzugs nicht beteiligt hatte. Bernhard wollte so wie Suger von St-Denis das Desaster sofort mit einem neuerlichen Kreuzzug korrigieren (Epistola 256). Dieser Plan kam nicht zur Ausführung, da ihn weder Papst Eugen III. noch andere Mächtige unterstützten. Eine Stellungnahme Bernhards zum misslungenen Kreuzzug (De consideratione II, 1–4) gipfelt in der Erklärung, dass es ihm lieber sei, das Murren der Menschen richte sich gegen ihn selbst als gegen Gott.
Bernhard und die Juden: Während der Kreuzzugseuphorie im Vorfeld des 2. Kreuzzugs rief ein Mönch namens Radulf in Mainz zur Judenverfolgung auf. Vom Erzbischof von Mainz gerufen, konnte Bernhard die Judenhetze Radulfs beenden. Rabbi Ephraim aus Bonn pries Bernhards rettendes Eingreifen. Bernhard trat mit Blick auf Röm 11,25f für die Schonung der Juden ein (Epistola 363).
Konflikt mit Gilbert von Poitiers (oder Gilbert de la Porrée): Gilbert war ein französischer Philosoph, einst Leiter der Domschule von Chartres und seit 1142 Bischof von Poitiers. Er vertrat im Universalienstreit den Realismus. Viele – auch Bernhard – warfen ihm die Leugnung des kirchlichen Trinitätsglaubens vor. In Anwesenheit des Papstes diskutierte Gilbert bei der Synode von Reims 1148 mit Bernhard von Clairvaux. Gilbert erklärte sich nach der Disputation bereit, die problematischen Stellen – wohl aus diplomatischen Erwägungen – zu ändern.
Vermittler: Immer wieder wurde Bernhard um Vermittlung in Kontroversen gebeten, die er oft mit diplomatischem Geschick zu regeln verstand. Bei seiner ersten Italienreise konnte Bernhard zwischen den beiden zerstrittenen Städten Pisa und Genua den Frieden vermitteln (1133). 1135 kam Bernhard nach Bamberg, um dort bei der Versöhnung Kaiser Lothars III. mit den Staufern mitzuwirken. Bei seiner dritten Italienreise konnte Bernhard in Lucca zwischen der kaiserfeindlichen Stadt und den kaiserlichen Truppen die Versöhnung erreichen (1137).
Bernhard setzte sich neben anderen einflussreichen Persönlichkeiten beim Papst dafür ein, das Interdikt über Frankreich aufzuheben, das Papst Innozenz II. wegen der Blockierung eines französischen Bischofs durch den französischen König verhängt hatte (Epistola 358). Papst Cölestin II. hob das Interdikt 1144 auf.
Etwa zur selben Zeit arbeitete Bernhard auch mühsam daran, eine Aussöhnung zwischen dem französischen König Ludwig VII. und Bernhards eigenem Landesfürsten, dem Grafen Theobald von Champagne, auszuhandeln (Epistola 226), was im Frühjahr 1144 gelang.
In einem gefährlichen Zwist zwischen König Ludwig VII. und seinem Bruder, dem Zisterzienser und Bischof Heinrich, kam es 1151 durch Vermittlung Bernhards und anderer zur Annäherung zwischen den beiden königlichen Brüdern.
Nur wenige Monate vor seinem Tod, im Frühjahr 1153, konnte der bereits schwer erkrankte Bernhard zwischen der Stadt Metz und dem Herzog von Lothringen eine Friedenslösung finden.
A.5. Tod und Begräbnis
Der letzte Brief Bernhards (Epistola 310) führt bereits seinen elenden Gesundsheitszustand vor Augen. Bernhard starb am 20. August 1153 in seinem Kloster Clairvaux, umgeben von zahlreichen Bischöfen und Mitbrüdern aus seinem Orden. Er wurde vor dem Marienaltar der Kirche von Clairvaux bestattet.
B. Theologische Bedeutung Bernhards
Bernhard wird „letzter Kirchenvater“ genannt, weil er – obwohl mittelalterlicher Theologe – noch sehr in der Tradition der antiken Kirchenväter steht: in der Art ihrer Theologie, mit ihrer biblischen Ausrichtung, meisterhaften Rhetorik und ihrem Bezug zum gelebten Glauben. Seine „wie Honig fließenden“ Reden und Lobpreisungen auf Christus ließen ihn zum „doctor mellifluus“ werden. Auch der von ihm verwendete Satz „Jesus ist Honig im Mund“ („Iesus mel in ore“; Super Cantica Canticorum 15,6) wird mitunter als Grund für seinen Titel „doctor mellifluus“ genannt.
„Doctor marianus“ ist ein Titel, den traditionellerweise neben Bernhard von Clairvaux auch Anselm von Canterbury und Johannes Duns Scotus tragen. Bernhard zeigt sich in seiner glühenden Marienverehrung sehr überlieferungstreu. Apokryphe Belegstellen spart er aus. Er wertet alle marianischen Stellen des Neuen Testamentes, vor allem aber die Verkündigungsszene (z. B. In laudibus Virginis Matris I-IV), aus, um Mariens Tugenden zu preisen. Für die Menschwerdung Christi setzt er die geistige Liebeseinigung zwischen Gott und dem Geschöpf Maria voraus. Aus der Inkarnation folgt für ihn die erschreckende Größe der Gottesmutter. Maria ist gemäß Bernhard Mittlerin zu Christus und lichtvolle Fürsprecherin, wie er in verschiedenen Bildern (z. B. Aquädukt, Fahrzeug, Leiter; Stern) veranschaulicht.
Bernhard vermittelt in seinen Texten insgesamt keine neue Theologie, sondern betont wesentliche theologische Gedanken des traditionellen kirchlichen Glaubens. Er ist durchdrungen von den Texten der Heiligen Schrift, der Kirchenväter (vor allem Ambrosius, Augustinus, Gregor der Große; Origenes, Gregor von Nyssa), der Liturgie und der Regula Benedicti. Er gilt als ein Hauptvertreter der mittelalterlichen Christusmystik und speziell der Passionsmystik, weil er die Stationen des Menschseins Christi, besonders das Passionsgeschehen (z. B. Super Cantica Canticorum 25, 8f; 43,3; 61,4; 62,7; Epistola 322), mit starkem Schriftbezug, feinsinniger Vorstellungskraft und affektiver Christus-Frömmigkeit meditiert. Weitere wichtige Themen sind ihm u. a. Gottes bedingungslose Liebe, das Elend des auf sich selbst ausgerichteten Menschen, die Menschwerdung des Wortes Gottes, die mystischen Erfahrungen der Seele auf dem Weg zur Einigung mit Gott, der Vorrang des Glaubens gegenüber dem intellektuellen Erkenntnisstreben.
C. Werke
Von Bernhard sind ungefähr 10 Traktate, etwa 380 Predigten, über 500 Briefe und weitere kleinere Werke erhalten. Seine Schriften zeugen von hoher Bildung, poetischer Sensibilität und literarischem Gespür.
Im aszetischen Traktat De gradibus humilitatis et suberbiae (Über die Stufen der Demut und des Stolzes; um 1124) kommentiert Bernhard mit theologischen Ausführungen über die Demut Christi und mit lebensnahen Beschreibungen das 7. Kapitel der Regula Benedicti.
Die Apologia (um 1124/25), die Wilhelm von St-Thierry gewidmet ist, thematisiert die wesentlichen Reformanliegen, von denen Bernhard die Reformmönche seiner Zeit, vor allem die Zisterzienser, geleitet sehen will.
Die vier Homilien In laudibus Virginis Matris (Zu Ehren der jungfräulichen Mutter; vor 1125) meditieren die Stelle Lk 1,26-38. Sie heben Mariens Bedeutung bei der Menschwerdung Christi hervor.
Bernhard widmet dem Erzbischof von Sens einen eigenen Traktat über das Bischofsamt (Epistola 42; 1127/28), in dem er ihm zentrale Tugenden für ein bischöfliches Leben vor Augen hält.
Ein eigener Tauftrakt (Epistola 77; 1127/28), geschrieben für Hugo von St-Victor, beantwortet in frühscholastischer Weise Fragen im Zusammenhang mit der Taufe.
Im Traktat De gratia et libero arbitrio (Über die Gnade und den freien Willen; 1126–1135) erörtert Bernhard den Anteil der Gnade und den des freien Willens bei der Errettung des Menschen. Er schließt dabei an Gedanken von Augustinus über Freiheit und Gnade an.
Der mystische Traktat De diligendo Deo (Über die Gottesliebe; 1130-1141) beschreibt, wie der Mensch aus seinem elenden Zustand Stufe für Stufe durch Gnade und Liebe zur vollen Vereinigung mit Gott geführt wird.
Der Traktat Ad milites templi de laude novae militiae (An die Tempelritter: Lob des neuen Rittertums; 1128–1136) stellt dem traditionellen Rittertum das Idealbild eines neuen geistlichen Rittertums gegenüber, dem sich der damals neu entstandene Templerorden verpflichtet sah.
Das Werk Ad clericos de conversione (An die Kleriker über die Bekehrung; 1140) erläutert anhand der Seligpreisungen speziell für Kleriker, wie die Seele von der Erleuchtung und Reinigung zur Beschauung gelangt.
Der Traktat De praecepto et dispensatione (Über Gebot und Entpflichtung; um 1140) thematisiert die Verbindlichkeit von Geboten und Verboten im Kloster und die subjektive Verantwortlichkeit.
Die Vita Sancti Malachiae (1148-1152) ist eine Lebensbeschreibung über den hl. Malachias, der 1148 als Erzbischof von Armagh (Irland) die letzten beiden Wochen seines Lebens in Clairvaux verbracht hat.
Bernhard verfasste zahlreiche Predigten zu Festen des Kirchenjahrs („Sermones per annum“) und über verschiedene Themen („Sermones de diversis“), die voll von aszetischen und mystischen Ausführungen sind.
Die 86 Sermones Super Cantica Canticorum (Über das Hohelied; 1135–1153) sind Bernhards wichtigste mystische Schrift. In seinen weit ausholenden Auslegungen zu Hld 1–3,1 erteilt er seinen Mönchen geistliche Seelenführung. Die Beziehung zwischen Bräutigam und Braut wird bei Bernhard als Beziehung zwischen Christus und der Seele gedeutet.
Der Traktat De consideratione (Über die Selbstbesinnung; 1148-1153) ist Papst Eugen III. gewidmet. Diese Schrift enthält Ratschläge zur Kirchenleitung und zur Erhaltung einer geistlich bestimmten Lebensführung in einem pflichtenreichen Alltag.
D. Verehrung
Bernhard, den bereits zu seinen Lebzeiten viele als einen Heiligen betrachtet hatten, wurde am 18. Jänner 1174 von Papst Alexander III. heilig gesprochen. Am 13. Oktober 1174 erfolgte die feierliche Erhebung und Neubestattung von Bernhards Leichnam. Vier Jahre später erhielt er in der neuen Klosterkirche (Clairvaux III) einen marmornen Grabaltar hinter dem Hochaltar. Während der französischen Revolution wurden 1793 die Reliquien des hl. Bernhard mit anderen in Clairvaux aufbewahrten Reliquien vermengt und in die Pfarrkirche Ville-sous-la Ferté bei Clairvaux gebracht. Die Schädelreliquie des hl. Bernhard, die bereits in der Abtei Clairvaux in einem eigenen Reliquiar aufbewahrt war, nahm der letzte Abt von Clairvaux, Louis Marie Rocourt, mit sich und schenkte sie 1813 der Kathedrale von Troyes. Dort ist sie in einem kostbaren Schrein in der Schatzkammer aufbewahrt.
Papst Pius VIII. erhob den hl. Bernhard 1830 zum Kirchenlehrer. Papst Pius XII. widmete Bernhard von Clairvaux die Enzyklika Doctor mellifluus (24. Mai 1953). In Dantes Divina Comedia führt der hl. Bernhard durch das Paradies; Martin Luther äußerte sich mehrfach positiv über Bernhard von Clairvaux.
In der christlichen Ikonographie wird Bernhard, meistens in Kukulle gekleidet, mit Stab, Mitra, Kirchenmodell, Buch, Bienenkorb (als „doctor mellifluus“), Kreuz und anderen Passionsinstrumenten dargestellt. Das Amplexus-Motiv zeigt den hl. Bernhard, wie er den vom Kreuz her sich herabneigenden Christus umarmt. Das Motiv der Lactatio veranschaulicht, wie Bernhard sich als „Doctor marianus“ von der aus der Brust der Gottesmutter Maria strömenden Muttermilch nährt.
Pius Maurer, Okt. 2011
Werke:
Winkler, Gerhard (Hg.): Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke. Lateinisch/Deutsch, Bd. I–X, Innsbruck: Tyrolia, 1990–1999.Weitere Quelle:
Verdeyen, P.; Vande Veire C. (Hg.): Vita prima Sancti Bernardi, CCCM 89B (Turnhout 2011) · Sinz, Paul: (Hg., Übers.): Das Leben des heiligen Bernhard von Clairvaux (Vita prima) (Düsseldorf 1962).Verwendete Literatur:
Altermatt, Alberich M.: „De arte musica“. Die bernhardinische Gesangsreform der Zisterzienser (1134–1147). Anliegen, Prinzipien, Nachwirkung, in: Die Mystik des Gregorianischen Chorals (Heiligenkreuz 2007) 145–215. · Binding, G.: Bernhard von Clairvaux, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. I, München, Zürich 1980, 1992–1998. · Dinzelbacher, Peter: Bernhard von Clairvaux. Leben und Werk des berühmten Zisterziensers. Darmstadt: Primus, 1998. · Eberl, Immo: Die Zisterzienser. Geschichte eines europäischen Ordens. Ostfildern ²2007, bes. 85–115. · Leclercq, Jean: Bernhard von Clairvaux. Ein Mann prägt seine Zeit. München, 1990. · Schmalbaug, R.: Die Reliquien des hl. Bernhard, in: CistC 48 (1936) 17–19. · Stegmüller, O.; Riedlinger H.: Bernhard von Clairvaux, in: Marienlexikon I. St. Ottilien, 1988, 445–447. · Winkler, Gerhard B.: Einleitung zu: Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke. Lateinisch/Deutsch, Bd. I, Innsbruck, 1990, 15–37.Vorlage:Page.name: BERNHARD von Clairvaux (1090–1153) – Biographia Cisterciensis